"Autsch, da hatte wohl jemand etwas gegen den Erdkönig." Sokka betrachtete die eingeworfenen Fenster des Regierungsgebäudes. Daneben stand mit roter Farbe ein riesengroßes "Tretet endlich zurück, ihr Nichtsnutze!" quer über die Fassade geschrieben. Aang fuhr unter den strengen Blicken der örtlichen Polizei mit den Fingern die Striche entlang. Die Farbe war noch nicht völlig getrocknet, wodurch er sich sicher war, dass die Randale erst vor einigen Stunden geschehen sein mussten. Er schloss seine Augen und atmete aus. Dann drehte er sich zu den Offizieren. "Wir werden für die nächsten Tage erst einmal hier bleiben und dafür sorgen, dass diese Bande nicht nochmal zuschlägt."

 

Die Augen der Beamten fingen bei diesen Worten an zu funkeln. "Vielen Dank Avatar! Mit Eurer Hilfe werden wir sie garantiert fassen." Aang nickte. Ba Sing Se war mittlerweile im gesamten Erdkönigreich bekannt für die Angriffe einer Untergrundbande geworden. Fast schon täglich wurden abwechselnd wichtige administrative Einrichtungen und militärische Stützpunkte innerhalb und außerhalb der Stadtmauern angegriffen. Zeugen gab es fast nie. Die Bande war sicherlich gut organisiert und die Mitglieder mussten sehr gut ausgebildet sein, deshalb ging die Polizei von ehemaligen Soldaten aus.

 

"Selbstverständlich stellen wir euch eine Unterkunft im oberen Bezirk zur Verfügung. Ein Page wird euch gleich dorthin bringen."

 

"Der kann sich ruhig mal beeilen, mir tun schon richtig die Füße weh", beschwerte sich Toph und ließ sich auf ihren Hintern fallen. Danach inspizierte sie ihre Fußsohlen mit ihren Händen und wischte sich den Dreck ab, der sich im Laufe der Zeit angesammelt hatte. Angewidert sahen Sokka und Katara ihr dabei zu und staunten, wie viel Schmutz sie bereits von ihren Füßen gekratzt hatte.

Schließlich kam der Page angelaufen, verbeugte sich elegant und führte die Truppe zu ihrem Haus im oberen Ring. Dieses war nicht sonderlich weit weg von sämtlichen Regierungsgebäuden und so konnte Aang sie bequem von dort aus im Auge behalten.

 

Die Nächte vergingen, doch leider - oder glücklicherweise - schienen die Angriffe aufgehört zu haben. Die bloße Präsenz des Avatars, der schon nach dem ersten ereignislosen Tag zum Held der Erdnation ernannt wurde, schien die Bande von weiteren Attacken abzuhalten. Aang freute sich sichtlich: Ständig erhielt er Fanpost oder kleine Geschenke als Dank für die friedlichen Nächte. Auch die anderen drei wurden gefeiert und besonders Sokka war begeistert von den Menschenmassen, die sich jeden Morgen vor ihrem Haus einfanden und ihnen einen guten Morgen wünschen.

 

Obwohl mittlerweile eine Woche ohne Zwischenfälle vergangen war, patrouillierte das Team Avatar weiterhin jeden Abend die Umgebung. Aang war gerade auf dem Heimweg, als er eine maskierte Gestalt in einer Gasse im Vorbeigehen wahrnahm. Alarmiert drehte er sich in dessen Richtung und ging in Kampfposition. Die Maske, die einen Vogel darstellte, glitzerte dunkel im Licht der Straßenlaterne. Aangs Blick fiel daraufhin auf die Hand der völlig in schwarz gehüllten Person: Eine Spraydose. Es tropfte sogar noch rote Farbe von dessen Verschluss.

 

"Hey, du da, ich muss mit dir reden!" rief der Avatar und streckte vorsichtig eine Hand aus. Doch zu seiner Überraschung wurde er von einem starken Windstoß, der aus der Gasse fegte, überrumpelt und ging zu Boden. Bevor er sich wieder aufrappeln konnte, spürte er einen leichten Druck an seiner Kehle. Der Maskierte befahl ihm, sich kein bisschen vom Fleck zu bewegen und hielt ihn einen scharfen Gegenstand an den Hals. Aus dem Augenwinkel konnte Aang erkennen, dass es ein Fächer war. Doch der Avatar war nicht daran interessiert mit Ganoven zu kooperieren, weshalb er den Angreifer mit einem gekonnten Luftstoß gegen die Hauswand schleuderte. "Bist du derjenige, der hinter den Angriffen gegen die Regierung steckt?"

 

Stumm betrachtete die Person ihn aus der Distanz, bis Aang einen weiteren Schritt auf sie zu ging und sie die Rufe von Aangs Freunden hörte. "Mist", zischte sie und rannte zurück in die Gasse. Das wollte sich der glatzköpfige Junge sich aber nicht bieten lassen und er folgte dem Flüchtenden. Aang war durch seine gezielt eingesetzten Windströme im Vorteil und holte schnell auf, doch immer wenn er versuchte, die Person zum Stehen zu bringen, entwischte diese ihm nur knapp. Er versuchte sie an ihrem Pferdeschwanz zum Greifen zu bekommen, stolperte allerdings dabei und fiel hin. Zu seinem Erstaunen blieb das Bandenmitglied ebenfalls stehen und schien darauf zu warten, dass Aang sich wieder aufrichtete. Er war fast so, als würde es wollen, dass er ihm folgte.

 

Von Weitem hörte der Avatar Katara und Toph nach ihm rufen. Er hoffte, dass sie ihm im Notfall als Unterstützung dienen könnten, falls dies wirklich eine Falle war. Deshalb stand er schnell wieder auf und hastete dem braunhaarigen Vogelkopf erneut hinterher. Dieser hatte ihn schon ziemlich weit von der Unterkunft weggelockt, weshalb Aang nun nicht einmal mehr wusste, ob er überhaupt noch im oberen Ring war oder schon ganz woanders herumrannte. Er versuchte wieder nach den Haaren des Typen zu greifen. Jedoch bog dieser vorher ab und verschwand inmitten einer riesigen Höhle. Nicht aber, ohne sich vorher noch einmal umzudrehen und zu prüfen, ob der Avatar ihn immer noch folgte. War das das Geheimversteck der Untergrundbewegung?

 

Katara und Toph holten Aang ein, der verwirrt vor dem Eingang der Höhle stand. Appa würde hier bestimmt dreimal reinpassen, dachte sich der Junge und musste schmunzeln. "Aang!" rief Katara erneut, als sie neben ihm zum Stehen kam. "Ist das ihr Unterschlupf?" Fragend sah sie erst ihn und dann den Eingang an. Das musste das Werk eines äußerst begabten Erdbändigers sein. Der Avatar kratzte sich nur den Kopf. "Vielleicht. Er ist auf jeden Fall hier rein gerannt." Katara nickte selbstbewusst, während Toph neben ihr ihre Hand auf das Gestein der Höhle legte. "Definitiv ein Unterschlupf", grinste sie und bestätigte damit die im Raum stehende Vermutung. "Sollen wir rein gehen? Das wäre der perfekte Moment, um sie zu schnappen!" rief Katara aufgeregt und lief bereits ein paar Schritte hinein. Natürlich wollte sie unbedingt diese Banditen ergreifen und dann wieder seelenruhig durch die Welt reisen. Vielleicht sogar mal wieder ihren Stamm besuchen. Das letzte Mal war auch schon eine ganze Ewigkeit her.

 

Aang murmelte zwar ein leises "Okay", doch er wusste nicht, ob es so eine gute Idee war, dort einfach so hinein zu spazieren und zu erwarten, dass sie sich ergeben. Er wusste ja noch nicht mal, wie viele Menschen überhaupt zu dieser Bande gehörten. Und der Fakt, dass der Vogeltyp ihn absichtlich hier hin gelockt hatte, ließ ihn auch nicht entspannen. Toph und Katara waren jedoch bereits vor gelaufen und schienen kein mulmiges Gefühl dabei zu bekommen. Seufzend folgte Aang ihnen schließlich; er konnte sie ja schlecht allein lassen.

 

Die Höhle entpuppte sich als Labyrinth, weshalb sich Katara und Aang vollständig auf Toph verlassen mussten. Sie spürte einen Raum - wenn man es denn so nennen konnte - auf, in dem sich einige Menschen aufhielten. Das musste wahrscheinlich die Haupthalle sein. Der Versammlungsplatz, an dem die ganzen schmutzigen Pläne geschmiedet werden mussten. Plötzlich traf die Gruppe auf jemanden in den Gängen. Vogelmaske. Braune Haare. Pferdeschwanz. Das musste der Typ von vorhin sein. Er stand gelassen im Gang und schien das Team erwartet zu haben. Logisch, er hatte sie hier her gelockt. Toph fackelte nicht lange und begann damit, ihn mit mehreren Brocken Erde abzufeuern. Diesen wich der Bandit mit Leichtigkeit aus, startete aber keinen Gegenangriff. Aang wurde immer mulmiger zumute. Die Sache stank gewaltig zum Himmel.

 

Es war, als würde der Typ sie an der Nase herumführen und nur mit ihnen spielen. Er drehte sich um und ging mit moderatem Tempo voran. Katara und Aang schauten sich verwundert an und überlegten, ob es wirklich schlau wäre, ihm zu folgen.

 

Toph jedoch, furchtlos wie sie war, war bereit für einen ordentlichen Kampf und machte sich keine Sorgen um irgendwelche Fallen. Sie würde sie eh alle besiegen, also warum die Scheu? "Wollt ihr da Wurzeln schlagen oder kommt ihr mit?" sagte sie mit fester Stimme und hob eine Augenbraue. Ihr Mut steckte die anderen beiden an und sie liefen ihr schleunigst hinterher, um sie in dem Wirrwarr an Gängen nicht zu verlieren. Gemeinsam betraten sie vorsichtig die Halle, die Toph bereits entdeckt hatte und sahen sich um. Die Wände waren komplett aus groben Gestein geformt. Ein kleiner Wasserfall, der in einen kleinen Teich floss, machte sich durch sein ruhiges Rauschen bemerkbar und ließ Katara erleichtert aufatmen. Sollte es zu einem Kampf kommen, war sie jedenfalls in der Lage ihre Bändigerfähigkeiten einzusetzen.

 

Da die Halle anscheinend leer war, entgegen Tophs Aussage, blieb das Team Avatar alarmiert und achtete ausgiebig auf seine Umgebung. Nach einiger Zeit hörten sie einen Rums aus dem hinteren Teil der Halle und gingen in Kampfposition. Ein Steinbrocken, der eine Tür imitierte, wurde soeben beiseite gerollt. Ein weiterer Bandit betrat die Höhle; er musste ein Erdbändiger sein. Anders als das erste Mitglied der Bande trug er jedoch eine etwas veränderte Maske. Es war weiterhin ein Vogel, aber Katara erkannte sofort die Ähnlichkeit der Maske mit Sokkas ehemaligen Haustier Falkilein.

 

Die Person betrat langsam und bedacht den Raum, stellte sich in die Mitte und hob eine Hand. Daraufhin erhob sich ein steinernder Thron aus dem Boden, auf welchem sie Platz nahm. Nachdem sich die Anwesenden schweigend gegenseitig ansahen, begann er schließlich zu reden. "Avatar Aang, willkommen. Wir haben schon sehnlichst auf dich gewartet." Seine Stimme war markant und er hörte sich leicht belustigt an. Neben ihm tauchte plötzlich aus dem Nichts wieder der andere Vogeltyp auf. Er kicherte und dieses Mal fiel Aang etwas anderes an ihm auf. Er hörte sich ziemlich weiblich an. War er eine Frau?

 

"Der gelbe Kolibri hat dich zu mir geführt. Du darfst dich bei ihm bedanken, dass du nun vor mir, dem zukünftigen Erdkönig und Herrscher der Welt, stehen darfst. Deine Freunde natürlich auch", sprach der Falken-Junge und faltete seine Hände in seinem Schoß. Misstrauisch lugte Katara zum Kolibri. Sie erkannte sofort, dass es ein Mädchen war und musterte sie von oben bis unten. Schließlich meldete sich Toph zu Wort, dessen Geduld nun langsam zuende war. "Erdkönig!? Dass ich nicht lache, du Gnom!" Sie stieß ihren Fuß in den Boden und feuerte einen riesigen Brocken in seine Richtung. Ohne überhaupt mit der Wimper zu zucken, blockte er den Angriff mit seiner Faust und zerbröselte den Stein in mehrere Teile. "Interessant. Eine blinde Erdbändigerin. Wie machst du das wohl? Schwingungen etwa?" Der Falke lachte auf und lehnte sich vor, seinen eigenen Fuß in den Boden rammend. "Wie sieht's denn damit aus?"

 

Verwirrt blickte Aang zu Toph, dessen Gesichtsausdruck sich schlagartig änderte. "Wie machst du das?" stieß sie zögerlich aus und drehte sich verwundert im Kreis. Danach versuchte sie erneut einen Haufen Steiner mit einem Drehkick in die Richtung der beiden Vögel zu befördern. Allerdings schlugen diese meterweit daneben ein. "Wie zur Hölle machst du das!?" schrie sie nun und stapfte wütend mit dem Fuß. Währenddessen lachte der Typ auf dem Thron nur und lehnte sich entspannt zurück. "Studiere deine Feinde und du wirst siegen", philosophierte er und hob eine Hand. 

 

Augenblicklich rollten zwei weitere Steine an den Seiten der Halle beiseite und es kamen einige Dutzend Männer in schwarzen Masken dort heraus gestürmt. Sie umzingelten die Truppe und trennte Aang von den beiden Mädchen. "Verschwindet lieber, wir haben nur Verwendung für den Avatar und nicht für seine Gehilfen."

Toph biss sich zornig auf die Lippe, während Katara ihr aufmunternd eine Hand auf die Schulter legte. Dann wendete sie sich an den Falken: "Jemand wie du wird ganz sicher nicht Erdkönig werden, dafür werden wir schon sorgen!" Sie blinzelte hinüber zum Wasserfall und bildete im nächsten Moment aus dessen Wasser einen Ring, den sie schützend um sich und ihre Freunde kreisen ließ und damit verhinderte, dass die Truppen sie angreifen konnten.   

"Süß", kicherte der Falke und klatschte vergnügt mit den Händen. Katara starrte ihn aus dunklen Augen an. Die Mitglieder der Bande, die sie umkreist hatten, blieben starr auf ihren Positionen stehen und warteten auf ein Zeichen zum Angreifen. Aang half derweil Katara mit der Verteidigung, indem er den Ring zusätzlich noch mit Wind verstärkte. Das nutzte jedoch kaum etwas.

 

Während sich der Falke mit dem Kolibri langsam näherte, versteifte Toph. Sie spürte die Wellen in der Erde, konnte jedoch nicht mehr erkennen, woher sie kamen oder ob sie Attacken waren. Sie fühlte sich auf einmal wieder blind. Frustriert begann sie, wie wild Steine durch die Gegend zu feuern. Dabei traf sie sogar fast Katara, die im letzten Moment ausweichen wollte. Allerdings sorgte es dafür, dass die Barrikade für einen kurzen Augenblick zusammenbrach und sie damit angreifbar waren. Sofort wurde diese Öffnung von den Bandenmitgliedern genutzt. Feuerbälle und Steinbrocken kamen mit erstaunlicher Geschwindigkeit auf die beiden Mädchen zu und nur Aang gelang es, sie aus der Schussbahn zu werfen, indem er einen Windkreisel erzeugte und die Geschosse so ablenkte.

 

Der Kolibri lachte auf und fing sich einen bösen Blick von Katara ein. "Gebt einfach auf, das würde die Sache deutlich erleichtern", gähnte der Falke und legte dem Kolibri gelangweilt einen Arm auf die Schulter. Vielleicht hatte er damit etwas zu früh geurteilt. Denn nun griff Toph hart durch und zerschmetterte ungefähr ein Dutzend der Soldaten zwischen zwei Felswänden. Der Falke war unachtsam geworden und gab den Boden wieder frei, sodass Toph wieder "sehen" konnte.  

 

Den nächsten Brocken richtete sie dafür direkt auf den Vogeltypen. Nur mühevoll konnte er diesen aufhalten. "Was wagst du es!?" brüllte er und trat kräftig in den Boden. Die daraus resultierende Steinwand raste mit enorm hoher Geschwindigkeit auf die junge Erdbändigerin zu, die jedoch nur einen einzigen Schritt zur Seite treten musste, um dieser elegant auszuweichen. "War das schon alles?" grinste sie und pustete sich die Haare von ihrem Gesicht weg. 

 

Auch Aang und Katara waren in Sicherheit. Gemeinsam hatten sie die restlichen Bändiger besiegt und stellten sich selbstbewusst neben Toph auf. Es machte ihnen jedoch ein wenig Angst, dass unter den Truppen sämtliche Bändigerkräfte zu finden waren. Erdbändiger, Wasserbändiger und auch Feuerbändiger. Das hieß, dass diese Bande aus durchaus fähigen Leuten bestehen mussten, wenn sie sich nicht nur aus Menschen, die in Ba Sing Se wohnten, bestand.

       

Der Falke trat einen Schritt zurück, sichtlich überrascht, dass es den Dreien gelungen war, seine Untergebenen so schnell zu bekämpfen. Sein Vogel-Kumpane stand jedoch weiterhin unbeeindruckt an Ort und Stelle. "Rückzug?" murmelte der Falke und wandte sich damit fragend an den Kolibri. Dieser schüttelte nur langsam mit dem Kopf. "Nicht nötig. Delfin ist soeben zurückgekehrt."

 

Aang zog scharf die Luft ein. Er hatte nicht erwartet, dass der Kolibri ein Mädchen war. Doch dessen Stimme hatte es gerade verraten. "Überrascht, Avatar?" richtete sie nun ihre Aufmerksamkeit auf ihn. Man konnte ihr Gesicht nicht sehen, dennoch war sich der Glatzkopf sicher, dass sie lächelte.