"Ein bisschen Frischluft gefällig?"

 

Aang öffnete langsam seine Augen. Er befand sich in einem dunklen Raum, war an ein Bett gefesselt. Es war sehr dunkel und auch das Licht, welches durch die offene Tür in das Zimmer drang, war sehr gedämmt. Wo war er? Er musste mehrmals blinzeln, um überhaupt etwas zu erkennen. 

 

"Hey Prinzesschen, nicht wieder einschlafen. Mein Kumpel hat befohlen, dich an Deck zu bringen." Der Junge, der vor seinem Bett stand, beugte sich etwas zu ihm hinunter und fummelte an seinen Handgelenken herum. "Benimm dich und vielleicht wirst du die Dinger schneller los als du denkst!" 

  

Aang erkannte sein Gesicht. Es war der Delfin. Ohne Maske. Er schien wirklich nicht viel davon zu halten. Der Avatar beschloss zu kooperieren und wurde schließlich auf seine Beine gehievt. Er hörte das Klappern von Ketten und spürte, wie schwer seine Füße auf einmal geworden waren. Der Delfin legte ihm gerade Hand- und Fußschellen um. "Und hopp!"

 

Nachdem der Junge, der deutlich älter war als Aang selbst, sein Werk stolz betrachtete, ging er zur Tür. "Laufen kriegst du hin, ja?" Aang nickte und begann ihm zu folgen. Ihm war bereits bewusst, wie stark der Delfin war und er hielt es für nicht besonders schlau, sich gegen ihn aufzulehnen. Außerdem war er bisher immer noch am freundlichsten zu ihm.

 

Die beiden schlürften durch einen langen Gang, an dessen Ende eine Treppe ins Freie führte. "Vorsicht, Stufe!" nuschelte der Junge mit den welligen, braunen Haaren abwesend und stieß die Tür vor ihm auf. Aang wurde von der Helligkeit geblendet und musste seine Augen erneut an die neue Umgebung anpassen. Er erkannte jedoch schnell, dass er sich an Bord eines Schiffes befand.

 

Obwohl er erwartete, dass überall Soldaten des Goldenen Efeus herumlungern mussten, traf er auf keinen einzigen. Stattdessen führte der Delfin ihn auf die andere Seite des Decks, wo die restlichen Anführer sich befanden. Der Falke lehnte mit dem Rücken gegen die Reling und schien Aang bereits sehnsüchtig zu erwarten. Die beiden Mädchen saßen auf ihren Unterschenkeln und schlürften jeweils gemütlich einen Tee, den sie sich elegant unter die Maske schoben.

 

"Da ist er", rief der Delfin freudig aus und gesellte sich zum Falken. Dieser starrte den Avatar nur seelenruhig durch die Augenschlitze seiner Maske an. Aang fragte sich, weshalb der Delfin keine Gesichtsbedeckung vor ihm trug und bevor er sich versah, hatte er diese Frage bereits laut ausgesprochen. Tatsächlich wurde ihm geantwortet: "Weil er ein Idiot ist."

 

Aang drehte sich zum Fuchs, von dem die Stimme kam. Sie nahm jedoch nur einen neuen Schluck vom dampfenden Tee. Allerdings ignorierte der Delfin diese Bemerkung gekonnt und strich sich durch die flatternden Haare. "Ich kann meinem Volk doch nicht mit einer Maske begegnen. Das wäre schlichtweg uncool."

 

Der Avatar bemerkte erst bei dieser Aussage, dass sich überall um das Schiff herum Eisberge und -schollen auf dem Meer tummelten. Der Delfin war ein Wasserbändiger, hieß das also, dass sie auf dem Weg zu einem der Wasserstämme waren? Aang beschloss nachzufragen: "Wo genau fahren wir hin?"

 

Diesmal war es der Falke, der ihm antwortete: "Nördlicher Wasserstamm. Wir haben dort etwas zu erledigen." "Darf ich fragen was?" Aang wurde mutig. Er hatte früh bemerkt, dass die vier ihm nichts antun würden. "Geht dich nichts an", murmelte der Fuchs wieder. Sie schien ein allgemein schlecht gelaunter Mensch zu sein. Trotzdem ließ sich der Luftbändiger neben ihr nieder.

 

Für eine Weile herrschte Ruhe, während der Delfin und der Falke die Wellen beobachteten, die das Boot schlug. Es war tatsächlich nicht besonders groß und Aang ging irgendwann davon aus, dass sie die einzigen Passagiere waren. Schnell begann er sich zu langweilen, doch keines der beiden Mädchen schien sonderlich gesprächig, sodass er einfach nur stillschweigend seine Langeweile in sich hineinfressen musste.

 

Umso aufgeregter war er dann, als er von Weitem bereits die hohen Eismauern des Nördlichen Wasserstammes erblickte. Hinter ihnen türmte sich der Palast auf. Dieser war wohl das Ziel des Goldenen Efeus.

 

Aang fragte sich, wie die vier Anführer so ruhig bleiben konnten, wenn sie sich doch eigentlich auf direkten Weges in feindliches Territorium begaben. "Habt ihr keine Angst? Ich meine, ihr greift gleich die nächste Nation an", fragte er und legte seinen Kopf schief. Kurz darauf patschte der Delfin ihm auf die Schulter, fast schon freundschaftlich. "Angst? Niemals. Wie könnte man sich vor seiner Heimat denn fürchten? Ich bin froh, die anderen nach so langer Zeit endlich wiederzusehen."

 

Sein Grinsen war breit und je näher sie den Mauern kamen, desto größer wurde es. Der Avatar konnte ihn irgendwie verstehen. Würde er vor seinem Lufttempel stehen, so würde er wohl auch vor Freude platzen. Allerdings hätte er niemals vorgehabt, diesen anzugreifen, anders als Raiden.

 

 

 

Kurz bevor sie die Schleuse erreichten, kamen kleine Motorboote angedüst. Die Krieger in ihnen starrten das Schiff ungläubig an und schienen eher abgeneigt von unangekündigten Besuch zu sein. Als der Delfin sich jedoch lächelnd über die Reling beugte und die Männer begrüßte, legten diese sofort ihre gezogenen Speere zur Seite und schauten ihn geschockt an. "Raiden?" rief einer von ihnen aus. Ein zweiter junger Mann winkte plötzlich euphorisch. "Kann nicht sein! Man, wie lang warst du schon nicht mehr hier?"  

 

"Orluk, Tantei! Seht euch an, ihr seid ja gar keine Lappen mehr! Habt euch fein rausgeputzt, um mich zu begrüßen!" lachte Raiden und sprang plötzlich von Bord, um elegant - von einer Welle getragen - auf dem Motorboot zu landen. Dort hielten die Männer unter sich einen Plausch, während die anderen Anführer darauf warteten, endlich in die Stadt zu dürfen.  

 

"Ist der bald mal fertig?" rief der Fuchs genervt und hielt sich zitternd die Arme. Ihr schien kalt zu sein und sie verhielt sich so, als würde sie die Kälte nicht gewohnt sein. Auch der Falke wurde langsam ungeduldig und rief Raiden zu, dass er sein Kaffeekränzchen doch bitte in den Palast verlegen solle. Grinsend verabschiedete sich der Wasserbändiger von seinen Kindheitsfreunden und sprang von den anderen gedrängt zurück aufs Schiff.

 

Unmittelbar darauf wurden die Eismauern für sie geöffnet. Das Schiff legt am Hafen an und die Maskierten machten sich bereit, an Land zu gehen. "Müssen wir dich fesseln oder kommst du freiwillig mit?" fragte der Kolibri Aang und hielt bereits ein dickes Seil in der Hand. Diese lehnte jedoch ab und gehorchte dem Delfin brav, als dieser ihn aufforderte, endlich die Stadt zu betreten. Eine andere Möglichkeit blieb ihm auch nicht wirklich.

 

 


 

Wider Erwarten begrüßte Arnook, der Anführer des Nördlichen Wasserstammes, Raiden genauso fröhlich wie die anderen Männer, die im hinteren Bereich der Eishalle warteten. "Mein Sohn, was führt dich denn hierher zurück? Wir hatten nicht mit einem Besuch von dir gerechnet, als du sagtest, du würdest uns wahrscheinlich nie wieder sehen." Raiden verbeugte sich schnell und trat dann an die Seite des Oberhauptes. "Ich bin bereit", flüsterte er diesem ins Ohr. Arnook nickte, wohlwissend, was das führ ihn hieß.

 

"Es wird einige Tage dauern, um die ganzen Vorbereitungen zu treffen. Aber ich glaube immer noch fest daran, dass du ein guter Anführer sein wirst. Yue hätte es sicherlich auch schön gefunden, dich bei deiner Amtseinhebung zu sehen." Die Augen des Mannes füllten sich langsam mit Tränen. Verwundert schaute der Delfin auf. Er wusste noch nicht, was vor einigen Jahren passiert war. 

 

"Wo ist Yue?" fragte er zögerlich, seinen Blick nicht von dem Gesicht ihres Vaters abwendend. Dieser schluckte und atmete geräuschvoll aus. "Sie ist tot, Raiden. Meine Vision ist wahr geworden. Sie wacht jetzt als der Mond über uns." Symbolisch richtete er seine Augen auf die Decke, als würde sie ihn über sie reden hören.

 

Raiden blieben die Worte im Halse stecken. "Ich...wusste nicht, dass sie-". Er stoppte sich selbst und bewahrte sich davor, den Fakt auszusprechen. "Es tut mir so leid. Wenn ich hier geblieben wäre, wäre sie sicherlich noch hier!" Die aufkommende Wut machte sich so langsam bemerkbar. Der Delfin ballte seine Fäuste. "Feuernation?" fragte er kurz angebunden und schaute gen Boden. Arnooks Nicken konnte er nur aus dem Augenwinkel wahrnehmen. "Dachte ich es mir." 

 

"Ruht euch erst einmal aus. Ihr seid sicherlich weit gereist", versuchte er die Lage ein wenig zu entschärfen. "Orluk, Tantei, bringt unsere Ehrengäste in das Gästehaus." Kaum hatte er diese Bitte ausgesprochen, richteten sich die beiden gebräunten Jungen kerzengerade auf und begaben sich mitsamt dem Goldenem Efeu und Aang zu einem aus Eis gebauten Haus, außerhalb des Palastes.

 

Als die Männer sich verabschiedeten und wieder gingen, war der Delfin der Erste, der das Wort erhob: "Avatar, wenn du nicht gemeinsam mit uns hier bleiben willst, kann ich Arnook nach einer anderen Bleibe für dich fragen." Seine Laune war nun besser und er schien sich beruhigt zu haben.

 

Aang musterte ihn neugierig. Er hatte eigentlich einen echten Angriff, wie es ihn beim Erdkönig gab, erwartet. Stattdessen schien die Beziehung zwischen Raiden und dem Oberhaupt des Nördlichen Wasserstammes eher freundschaftlich, wenn nicht sogar familiär zu sein. Er wusste nicht weshalb, aber er glaubte fest daran, dass die vier ihm nichts tun würden.

 

"Ich bleib bei euch", verkündete er stolz.