Der Abend verlief ruhig und erstaunlicherweise ohne große Zwischenfälle. Am nächsten Morgen jedoch, war der Falke aus unerklärlichen Gründen verschwunden. Raiden war bereits seit etwas mehr als einer Stunde auf der Suche nach ihm und auch der Kolibri war darin eingeweiht.

 

Der Erdbändiger selbst wollte unter keinen Umständen entdeckt werden. Nachdem er sich am Vormittag das Gesicht an einem der Kanäle gewaschen hatte und dabei seine Maske für einen klitzekleinen Moment abnahm, wurde er bereits von einer Horde Heilerinnen beobachtet. Und noch schlimmer: Sie verfolgten ihn von diesem Moment an auf Schritt und Tritt.

 

"Hallo Hübscher! Hast du schon eine Begleitung für die Feier heute Abend?" "Deine Haut ist ja so schön gebräunt." "Trainierst du? Diese Muskeln müssen doch von Bodybuilding stammen!" 

 

Das war nicht das erste Mal, dass er von Frauen gejagt wurde. Bevor er die Falkenmaske trug, war ihm sowas ständig passiert. Deshalb war er über die Gesichtsbedeckung froh gewesen. Zu seinem Unglück hat er sie jedoch am Kanal liegen lassen, als er los gerannt war. Und ohne Maske fühlte er sich den Mädchen schutzlos ausgeliefert, weshalb er sich nun unter einer der Brücken versteckt hatte. Seine längeren Haare hingen ihm vor dem Gesicht, was als eine Art der Tarnung gedacht war. Schien jedoch nicht sonderlich gut gewesen zu sein.

 

"Hey, bist du nicht der Vogeltyp?"  

 

Der Falke erstarrte. Er wurde entdeckt. "NEIN!" schrie er in einer für Männer doch recht hohen Stimme und verdeckte sein Gesicht mit seiner Hand. Daraufhin hörte er es neben sich kichern. "Du kannst deine Hand ruhig wegnehmen. Ich seh dich auch so!"  Verwirrt sah er auf. Es war das kleine blinde Mädchen. Die Erdbändigerin.

 

"Warum nochmal sitzt du jetzt hier?" fragte sie belustigt. Daraufhin bemerkte der Falke erst seinen Fehler. Er hatte sie schlichtweg übersehen, als er sich hier niedergelassen hatte. Er musste mindestens schon fünf Minuten dort neben ihr sitzen. Ihm stieg die Schamesröte ins Gesicht und er tötete sich innerlich selbst.


"Hey, du trägst ja die alberne Maske nicht!" rief sie und deutete auf sein Gesicht. Für den Bruchteil einer Sekunde atmete er scharf ein, verstand jedoch schnell, dass die Maske bei ihr sowieso keinen Sinn gemacht hätte. Sie war blind, sie sah die Umgebung nicht mit ihrem Augen, weshalb das Verdecken seines Gesichts gar nichts brachte.

 

"Hast du auch einen Alternativnamen?" lachte sie und machte sich darüber lustig, dass er ohne Maske ja auch kein Vogel mehr wäre. Der Falke zog seine Knien an und legte seinen Kopf darauf ab. "Taemin", murmelte er. "Bescheuerter Name, denk dir was besseres aus."

 

"Das ist mein Name", grummelte der Erdbändiger verärgert.

 

"Oh entschuldige", grinste sie und Taemin merkte deutlich, wie sie diese Entschuldigung gar nicht ernst meinte. Deshalb kehrte eine unangenehme Stille ein. Der Junge mit den längeren braunen Haaren sah sich ein wenig unter der Brücke um. Er mochte den Aufbau des Wasserstammes. Die zahlreichen Kanäle und Brücken waren total sein Ding und verliehen der - im Vergleich zu Ba Sing Se - sehr kleinen Stadt einen charmanten Flair. Ein Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit.

 

"Warum bist du eigentlich hier her gekommen? Nicht unbedingt ein gewöhnlicher Ort zum Chillen", murmelte Toph und spielte mit ihren Füßen. Taemin wurde dadurch aus seinen Gedanken gerissen und schaute sie an. Es schauderte ihm, als er an den Grund denken musste. "Viele der Frauen hier scheinen...mich zu mögen. Oder besser gesagt mein Äußeres." Er hustete; ihm war es sehr peinlich darüber zu reden. Es war immerhin nicht das erste Mal, dass so etwas passierte. 

 

Mit einem Seufzer fuhr er fort: "Naja, es ist echt schön so viel Aufmerksamkeit zu bekommen. Aber... Ich will nicht nur wegen meines Aussehens gemocht werden. Daher habe ich mich versteckt." Toph nickte. Sie wusste nicht, wie Taemin aussah. Konnte er wirklich so hübsch sein? "Weißt du, ich habe keine Ahnung, ob du mir die Wahrheit sagst. Aber irgendwann findest du ein Mädchen, dass nicht nur auf dein Äußeres achtet."

 

Taemin setzte zum Widersprechen an: "Ich will aber kein Mä-" Doch Toph überhörte ihn gekonnt: "Sieh mich an, ich bin blind. Alles, was ich sehe, hat eine Form und ist schwarz-weiß. Alle sehen für mich gleich aus. Deswegen muss ich umso mehr auf den Charakter eines Menschens achten. Und sei getrost, bisher bist du ganz in Ordnung. Außer dein Name, der ist seltsam."

 

Das Herz des Jungen stoppte für einen Moment. "Ganz...in Ordnung?" wiederholte er flüsternd. Er sah noch einmal auf das junge Mädchen hinab. Dieses Mal deutete kein Grinsen darauf, dass sie log. Also musste sie es ernst meinen. "Ähh, danke!" rief Taemin aus und errötete leicht. Um zu verhindern, dass sie ihn sehen konnte, drehte er sich weg und hielt seinen Unterarm vor sein Gesicht. Bis ihm wieder einfiel, dass sie die Röte gar nicht sehen konnte. 

 

Er drehte sich wieder zu ihr, behielt aber seinen Arm weiterhin vor seinem Gesicht. "Nein, wirklich. Danke." 

 

 

"Was bitte schön soll das sein?"

 

Ungläubig starrte der Fuchs das Gewand an, das eines der Bediensteten ihr gebracht hatte. Nachdem sich das verschüchterte Mädchen schnell verabschiedet hatte, seufzte die Maskierte genervt. Sie wusste von wem dieses "Geschenk" kam. Und sie hasste es jetzt schon wie die Pest.

 

"Raiden, das wirst du büßen."

 

"Pakku! Hakoda!"

 

Mit ausgebreiteten Armen rannte der Anführer des nördlichen Wasserstammes schnurstracks auf die beiden Männer zu. Sie waren am Vortag bereits vom südlichen Wasserstamm aus angereist, um an den Feierlichkeiten nach Raidens Krönung teilzunehmen. "Bist du groß geworden", lachte Pakku und verbeugte sich lässig. Raiden fand diese Art von Begrüßung jedoch viel zu formal und umarmte seinen ehemaligen Lehrer fest. 

 

"Nana, nicht so stürmisch. Das gehört sich nicht für ein Oberhaupt", tadelte ihn der Alte und klopfte ihm auf die Schulter. "Kaum zu glauben, dass wir beide mal im selben Kanu Platz hatten!" grinste Hakoda und legte dem Jungen eine Hand auf den Kopf, um dessen Haare durchzuwuscheln.

 

Raiden grinste über beide Ohren hinweg. Die ganze Woche war bereits ein Traum gewesen und endlich wieder zuhause zu sein, gab seiner Laune einen enormen Boost. Aber nun auch noch seine damaligen Mentoren gegenüber zu stehen - das konnte einfach nichts mehr toppen.

 

"Sag, mir ist zu Ohren gekommen, dass hier eine gewisse 'Party' stattfinden soll. Kommen wir etwa zu spät?" Pakku sah sich theatralisch um und sah weit und breit keinen Menschen am Hafen. Alle machten sich in ihren Häusern bereits schick, um an der Feier teilnehmen zu können. "Keineswegs Herr Meister des Wassers. Mir nach, die Herren", witzelte der Delfin und brachte seine Ehrengäste in den Palast. 

 

Dort ging es wesentlich hektischer zu, als es von außen den Anschein hatte. Sämtliche Dekorationen wurden im großen Eissaal angebracht und die Köche brutzelten fleißig in der Küche an dem Essen, das in wenigen Stunden serviert werden sollte. "Ich hoffe, ihr habt ausreichend Hunger mitgebracht." Raiden ließ sich auf seinem Thron nieder und wartete auf die Reaktionen der beiden Männer. Diese schmunzelten und klopften sich lachend auf die Bäuche, die wie auf's Signal anfingen zu grummeln. "Dann kann es ja losgehen!"

 

 

"Gut siehst du aus!" lobte Aang den Anführer des nördlichen Wasserstammes. Er trug seine traditionelle Wasserstamm-Tracht und strich seine gegelten Haare aufgeregt mit seinen Händen nach hinten. "Sind die anderen auch bald da?" prüfte der Avatar mit neugierigen Blicken den Korridor, in dem die beiden Jungen standen, doch es tat sich nichts, außer dass viele Angestellte hin und her rannten, um den letzten Feinschliff zu tätigen.

 

"Sollten gleich hier sein", murmelte Raiden und zupfte an seinen Ärmeln. Tatsächlich kamen der Kolibri und der Fuchs zusammen um die Ecke gestöckelt. Beide trugen elegante lange Kleider mit typischen Wasserstamm-Motiven drauf gestickt. Das vom Kolibri war violett und das vom Fuchs dunkelblau. "Du weißt, dass ich dich dafür umbringen werde?" nuschelte der Fuchs als "Begrüßung". Raiden wusste genau, dass das blonde Mädchen es hasste, in der Kleidung des Wasserstammes herumzulaufen, weshalb sie ständig die dicken Jacken ablehnte, die ihr angeboten wurden und lieber frierte. Deshalb war er umso amüsierter, dass sie nun einer der typischen Gewänder der Frauen trug. "Steht dir", provozierte er sie weiterhin, woraufhin sie nur angewidert zur Seite sah.

 

"Kaum zu glauben, dass die Partnerin des Erdkönigs die schönste von allen sein wird", schmollte Raiden, als er zum Kolibri sah und ihr einen Daumen hoch streckte. Diese nickte ihm nur dankend zu, man sah ihr an, wie unangenehm ihr diese Art vom Kompliment war.

 

"Sorry, ich wurde aufgehalten!" schnaufte der Falke, als er angerannt kam. Außer Puste stemmte er seine Hände auf seine Oberschenkeln und atmete tief durch. Er war die einzige Ausnahme beim goldenen Lotus, da er als einzige die Farbe grün - für den Wasserstamm nicht typisch - trug. Dies hob jedoch seinen Status als Erdkönig hervor. 

 

"Ich weiß echt nicht, was die Frauen an dir finden, Falke. Tag für Tag werde ich nach dir und deiner Nummer gefragt", rief Raiden und verdrehte genervt die Augen. "Kümmer dich nicht drum", murmelte der braunhaarige Junge peinlich berührt und richtete seine Maske. Tatsächlich trugen alle Mitglieder, außer der Delfin, ihre Tiermasken, als wären sie gerade auf einer Mission. Das würde sich aber schon bald ändern. 

 

"Aang, wir wären soweit!" rief Raiden und gab dem Avatar das Zeichen, dass nun alle Akteure bereit waren. Dieser benutzte seine Luftbändiger-Fähigkeiten, um ein kühles Lüftchen durch den Saal zu fegen, und damit die Aufmerksamkeit auf den Vorhang, hinter dem die fünf standen, zu lenken. "Meine Damen und Herren, das Oberhaupt des Nördlichen Wasserstammes!" brüllte er laut und deutlich, während Raiden vor den Vorhang trat und sich den Applaus gefallen ließ.

 

"Hallo alle miteinander! Seid ihr bereit für einen Abend voller Spaß und Entertainment? Heute wird so richtig die Sau herausgelassen!" lachte Raiden und hob eine Faust in die Luft, die noch einmal einen Jubel entfesselte. "Aber zuerst!" rief er und der Vorhang wurde beiseite gezogen, "stelle ich euch meine Freunde vor!"

 

Der Falke, der Fuchs und der Kolibri sahen sich mit einem aufgezwungenen Lächeln an. "Was zur Hölle soll das Theater?" murmelte der Junge mit der Vogelmaske hinter zusammen geknirschten Zähnen so leise, dass nur die beiden Nebenstehenden ihn hören konnten. "Typisch Raiden", zischte der Fuchs und rollte deutlich genervt mit ihren Augen, während der Kolibri bereits die Anwesenden scannte.

 

Das Team Avatar, zu dem sich auch dieser gerade gesellte, saß direkt am Tisch links neben dem Thron und starrte sie mit nicht ganz so freundlichen Blicken an. Zuko, der Feuerlord, spielte mit einer Serviette, während Katara ihre Augen nicht von Raiden abließ, um ihn mit ihren bösen Blicken zu töten. Sokka unterhielt sich mit Toph, die nur teilnahmelos mit ihren Füßen baumelte, da sie zu kurz waren, um den Boden zu berühren.

 

"Natürlich werdet ihr jetzt alle denken 'Hey, die kennen wir doch, warum stellt er sie jetzt nochmal vor?' aber ganz so simpel wird es jetzt nicht laufen", grinste Raiden und ein neugieriges Raunen ging durch die Reihen. Auch die drei Freunde, die hinter ihm Wurzeln standen und zur Schau gestellt wurden, wussten nicht, was der Delfin damit meinte.

 

"Ihr kennt den Falken als den vor kurzem gekrönten Erdkönig. Er ist jünger als ich und beherrscht trotzdem seit einiger Zeit das größte Land dieser Erde." Fragende Blicke flogen durch den Saal und es wurde von Moment zu Moment immer stiller. "Und die beiden weiblichen Anführer des Goldenen Lotus, der Fuchs und der Kolibri, sind unglaublich gewandt mit Waffen und werden schon bald die anderen Nationen einnehmen. Gemeinsam haben wir vier eine Menge durchgemacht."

 

"Komm zum Punkt, Mann!" keifte der Falke, der sich total unschlüssig war, weshalb sein Kamerade gerade so eine seltsame Rede schwang. Zudem auch noch als Beginn einer Feierlichkeit des Wasserstammes. Raiden drehte sich zu ihm um. "Gerne!" lachte er und lief auf die drei zu. Er kam hinter ihnen zum Stehen und breitete seine Arme aus, um seine Kumpanen in eine große Umarmung von hinten zu nehmen.

 

"Aber nun werdet ihr Teil einer Premiere sein. Ihr, als mein Volk, habt die einmalige Möglichkeit diese drei Mitglieder des Goldenen Efeus nicht nur als meine Mit-Anführer, sondern auch als meine Freunde am heutigen Abend kennenzulernen." Die Stille war kaum noch erträglich und sowohl der Fuchs als auch der Kolibri versuchten sich bereits aus den Armen von Raiden zu befreien. 

 

"Der Falke. König der Erdnation. Oder sollte ich besser sagen: mein Freund Taemin!"

 

Mit einer gekonnten Armbewegung zog Raiden dem Falken die Maske vom Kopf.

 

Die Menge schrie erschrocken auf, hatte sie doch nun zum ersten Mal das unverdeckte Gesicht des so gefürchteten Anführers des Goldenen Efeus zu Gesicht bekommen.

 

"Aber das ist noch nicht alles. Der Fuchs, unsere Strategin und Zicke Nummer Eins: Ayu!" Auch ihre Maske wurde schnell und einfach entfernt. Geschockte grüne Augen blickten in die Menge, während sie schleunigst versuchte ihre Hände vor's Gesicht zu legen, doch da war es schon zu spät.

 

"Und zum Schluss noch die rechte Hand von Taemin und ein sehr wertvolles und einzigartiges Mitglied unserer Organisation. Die reizende Sango!" Damit war das letzte Gesicht gelüftet worden und der Abend begann mit einem riesigen Aufruhr. Sango und Ayu starrten sich ungläubig an, zurück zum Publikum und dann wieder sich selbst.

 

Taemin jedoch hatte irgendwie damit gerechnet. Als Raiden sich solche Sorgen um seine verlorene Maske gemacht hatte und extra einen halben Tag nach ihr gesucht hatte, bekam er bereits eine Vermutung, was dieser vorhaben könnte. Gerade der Wasserbändiger war von den Gesichtsbedeckungen am wenigsten angetan gewesen.

 

"Du kleiner, mieser..." brummte die Blondine wutentbrannt, als sie die gesamte Situation endlich begriffen hatte. Bevor sie jedoch auf das Oberhaupt des Wasserstammes losgehen konnte, wurde sie vom Ruf des Avatars gestoppt. "Seht ihr? Sie sehen wie ganz normale Jugendliche aus, oder? Wie du und ich." Er redete auf seine Freunde ein, die sich weiterhin verunsichert ansahen. Hatte Raiden etwa seine Kameraden verraten? Was genau war gerade geschehen?