Mitten ins Getümmel

 

Knacks.

Schlagartig wurde Ryu wach. Er schnellte hoch und überprüfte erst einmal die Lage. Die Schlafsäcke der anderen bewegten sich kaum, aber man konnte leicht erkennen, wie sich die Körper der anderen schwach bewegten. Sie schliefen fest.

 

Ryu aber wollte dem komischen Geräusch auf die Spur kommen. Er schnappte sich sein Holzschwert, in welchem Tokagero friedlich schlummerte, und zog sich sein Shirt über den Kopf. Leise tapste er vom Lager davon in die Richtung, aus der der Lärm kam.

 

Tokagero wurde währenddessen auch langsam wach. "Ryu, sag mal, was soll das? Weißt du wie spät es ist?" meckerte er und rieb sich müde die Augen. Es kam nur ein "Pscht" als Antwort und der Griff um sein Schwert wurde stärker. 

Er deutete in eine Waldlichtung, die immer lauter wurde je näher sie ihr kamen. Ryu konnte schon von Weitem spüren, das dort ein Kampf vonstatten ging. 

 

Er näherte sich der Lichtung und versteckte sich hinter einem Baum. Von hier aus hatte er einen guten Blick auf das Geschehen. "Du bist also auch hier?" ertönte es plötzlich neben ihm. Erschrocken stolperte Ryu schreiend nach hinten und fiel hin. Wurde er erwischt? 

 

Doch enttäuschend musste er feststellen, dass es nur Ren war, der neben ihm in einem Gebüsch hockte. Schnellstens begab sich Ryu zurück auf seine Position und lugte zwischen zwei Ästen vorsichtig zum Kampfgeschehen. Er konnte einen Jungen mit einer riesigen Sense ausmachen, aus der Furyoku austrat. Er war ein Schamane. Das hieß, dass das ein Schamanenkampf war. 

 

"Vorsicht!" schrie Ren und drückte Ryus Kopf nach unten. Sie spürten, wie das Gestrüpp über ihnen durch einen einzigen Hieb der Sense plötzlich verschwunden war. Als die Luft wieder rein schien, hob Ryu seinen Kopf wieder und wurde fast von einem blitzschnellen Pfeil durchlöchert. Geschockt erstarrte er an Ort und Stelle und musste erneut von Ren runtergedrückt werden.

 

Ren erkannte, dass der Pfeil von dem Gegner des Sensenschamanen kommen musste. Oder der Gegnerin. Tatsächlich stand nicht weit weg von ihnen ein blondes Mädchen, welches einen Bogen in der Hand hatte und in ihrem Köcher nach einem weiteren Pfeil fischte.

 

Konzentriert visierte sie den anderen Typen an, der laut brüllend auf sie zu rannte. Sie schloss ein Auge, atmete kurz aus und ließ den Pfeil los. Kaum war er abgeschossen, traf er auch schon sein Ziel: Das Bein. Schmerzerfüllte Schreie ertönten durch den Wald. Ryu musste sich bei diesem Anblick die Hand vors Auge legen. 

 

Sie zauberte jedoch noch einen Pfeil hervor und richtete diesen auf seinen Oberkörper während sie sich ihm langsam näherte. Er versuchte sie auf Distanz zu halten, indem er auf dem Boden hockend seine Sense hilflos hin und her schwenkte. In sicherem Abstand blieb sie schließlich stehen und spannte die dünne Sehne des Bogens. Wieder atmete sie aus. 

"HALT!" 

Verwirrt ließ sie den Pfeil los und verfehlte nur knapp ihr Ziel. Er bohrte sich in die linke Schulter des Schamanen und besiegelte so seine Niederlage.

 

Ren versuchte herauszufinden, wo die Stimme her kam, doch Bason war schneller als er und deutete in den Wald gegenüber von ihnen. Dort stand ein weiteres Mädchen, welches schwarze schulterlange Haare hatte. Sie verschränkte ihre Arme und tippte angespannt mit dem Fuß auf den Boden. "Was bitte sollte das werden, Natsuki?" 

 

Das blonde Mädchen wandte sich ihr zu, während sie die Verbindung zu ihrem Schutzgeist löste. Dieser war ein kleines Mädchen, welches unbeteiligt in den Himmel starrte. "Ach, es wäre doch nichts weiter passiert, Sada", grinste sie die Dunkelhaarige an. Diese seufzte nur hörbar. 

 

"Wen haben wir denn hier?" hörte Ren plötzlich hinter sich und spürte eine Klinge an seinem Rücken. Ryu ging es dabei nicht anders. Durch den Druck der Klingen wurden die beiden Schamanen in die Lichtung gedrängt. Die beiden Mädchen bemerkten sie schließlich auch.

 

"Wer sind die beiden?" fragte Sada und zog eine Augenbraue hoch. "Gehört ihr zu dem hier? Wollt ihr ihn rächen?" Ren zischte nur abfällig. "Wir haben nichts mit ihm zu tun", entgegnete er ihr. Er wurde ausführlichst von Sada betrachtet, als diese den Leuten hinter ihm ein Kopfnicken gab. Die Klingen wurden fallen gelassen.

 

Sofort drehte sich Ren um und musterte die anderen beiden Personen. Auch sie waren Mädchen. Eines von ihnen bückte sich zu ihm herunter. "Hey, dich kenne ich! Ich habe dich schon mal kämpfen sehen", lächelte sie und streckte ihm die Hand hin, "ich bin Min! Und das ist Ju Lyn." Sie deutete auf das Mädchen neben sich. Danach stand sie wieder auf und ging zur Schwarzhaarigen. Sie flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sadas Gesicht verdunkelte sich kurz.

 

Auch Natsuki näherte sich den beiden, während in Richtung des bewusstlosen Schamanen schaute. Ryu folgte ihrem Blick und bemerkte, wie ein weiterer Geist, der dem ersten sehr ähnlich sah, auf sie zu flog. Natsuki lächelte das kleine Mädchen an und es verschwand daraufhin.

 

 "Wie ich hörte, kennst du Yoh Asakura?" ergriff Sada das Wort mit dem Blick auf Ren gerichtet. Doch bevor dieser antworten konnte, hagelte es Eiszapfen. Über ihnen schwebte ein Junge auf einem Snowboard und griff sie an. Sada wich den fliegenden Geschossen gekonnt aus und blieb etwas weiter entfernt stehen.

 

Natsuki holte derweil ihren Bogen hervor und wollte gerade einen Pfeil in die Richtung des Jungen schießen, als sie von Ryu umgestoßen wurde. Doch sofort bereute er seine Tat, als er erneut Metall an seinem Rücken spürte. "Keinen Schritt weiter, ansonsten mache ich Hackfleisch aus dir", zischte Ju Lyn.

 

Min wurde währenddessen von Ren überrascht, der sie mit einem kräftigen Hieb einige Meter weit weg schleuderte. Die Landung sah ziemlich schmerzvoll aus, weshalb sie noch einige Sekunden liegen blieb. Das schaffte genug Zeit, um die anderen beiden aus dem Weg zu räumen.

 

Ren drehte sich in die Richtung von Natsuki. Jedoch schlung sich in diesem Moment etwas lederartiges um seinen Hals und riss ihn zu Boden. Als er aufblickte, traf er auf Sadas unbeeindrucktes Gesicht und sah, wie sie eine Peitsche in der Hand hielt.

 

"Lass ihn los!" tönte es aus dem Wald. Sada schaute müde auf, sie hatte nicht vorgehabt zu kämpfen.

Yoh rannte gemeinsam mit Manta und Joco auf sie zu und zückte dabei sein Schwert. Doch sobald er dieses in seiner Hand hatte, schoss ein Pfeil es wieder weg. Natsuki hatte sich wieder aufgerappelt und schon wieder den nächsten Pfeil in der Hand.

 

"Jetzt reicht es mir aber!" brüllte Ren wütend und wirbelte seinen Speer in der Luft. Dabei durchtrennte er die Schlinge um seinen Hals. Gleichzeitig bildete sich eine Wand aus Eis zwischen ihm und Sada und Trey steuerte auf sie zu. Doch auch er wurde von Sadas Peitsche von seinem Snowboard gerissen und kam unsanft auf dem Boden auf.

 

"Wir wollen keinen Ärger", rief Yoh und hob beschwichtigend seine Hände.

"Wir auch nicht", erwiderte Ju Lyn und piekste Ryu in den Rücken. Dieser schrie kurz panisch auf, erstarrte dann aber sofort wieder. Schließlich ließ sie von ihm ab und sprang neben Sada, wo schon die anderen beiden Mädchen standen.

 

"Du bist ja süß, bist du sein Schutzgeist?" rief Min aus und starrte vergnügt auf Manta. Dieser winkte enttäuscht ab: "Nein, ich bin ein Mensch."

 

〄〄〄

 

Die Lage schien sich beruhigt zu haben. Nun standen sich zwei Fronten gegenüber.

"Ihr seid also Schamaninnen?" bemerkte Ren abschätzig. Sada nickte stumm. "Darf ich euch fragen, weshalb ihr diesen Typen bekämpft habt?" Ren hob eine Augenbraue.

 

Natsuki lachte plötzlich laut auf. "Wir haben ihn nicht angegriffen, er hat mich angegriffen." Min ergänzte grinsend: "Es ist lange her, dass wir gekämpft haben. Aber zählen wir das als Vorbereitung für das Schamanenturnier-"

 

Klatsch.

 

Ju Lyn pfefferte ihre Hand auf den Mund ihrer Freundin. "Hältst du die Klappe!?" 

 

"Was für ein Schamanenturnier? Das letzte ist doch erst 4 Jahre her und das nächste werden wir ganz sicher nicht miterleben", rief Trey. Nur Yoh sah, wie Sada bei dieser Bemerkung kurz zuckte. "Sicher, wie konnten wir das nur vergessen", murmelte sie. "Dann verabschieden wir uns jetzt, auf Wiedersehen." 

 

Sie drehte sich langsam um, wurde aber von Ren aufgehalten. "Ihr verschweigt uns etwas", sagte er ruhig mit dem Blick auf Min gerichtet, die fast keine Luft mehr bekam. Sada folgte seinem Blick und seufzte. "Ihr seid nicht befugt, davon zu wissen, also lasst uns jetzt gehen."

 

"Wir wollen es aber wissen, was auch immer es ist", rief Manta entschlossen. Er rannte nach vorn und stellte sich Sada in den Weg, die Arme weit ausgestreckt. "Geh aus dem Weg, Kleiner", zischte sie gefährlich und verstärkte ihren Griff um die Peitsche, die sie immer noch in ihrer Hand hielt. "Erst wenn du uns erzählst, was es mit dieser angeblichen Vorbereitung auf ein Schamanenturnier auf sich hat!" entgegnete er ihr trotzig. Ausdruckslos zuckte sie mit den Schultern und wandte sich zurück zur Gruppe. "Vielen Dank, Min", murmelte sie sarkastisch und brachte das Mädchen mit den türkisen Haaren damit zum Erschaudern.

 

"Wenn ihr es wirklich wissen wollt, dann zeige ich es euch."