Die Vorhersage

 

Es schien, als würde sich die Luft zusammen ziehen und der Wald sich verdunkeln. Sada bewegte sich etwas von der Gruppe weg und hob ihren Blick gen Himmel.

 

"Pierro, zeig ihnen, was sie sehen wollen", flüsterte sie, sodass man sie kaum hören konnte. Die Lichtung füllte sich urplötzlich mit dunklem Rauch. Yoh und seine Freunde waren angespannt, wussten nicht, was sie erwartet. "Seht mal!" stieß Joco aus und deutete in die Mitte der Lichtung. Dort stand ein Mann, der auffällig gekleidet war. Er trug einen roten Frack und einen schwarzen Zylinder und erinnerte an einen Zirkusdirektor. Es stellte sich heraus, dass er wirklich einer war.

 

"Das ist Pierro, Sadas Schutzgeist", erklärte Natsuki den Jungen. "Er hat die Gabe, Ereignisse vorherzusagen."

"Das ist nicht ganz richtig, Natsuki. Er kann lediglich vermuten, was in Zukunft passiert", berichtigte Ju Lyn sie. "Allerdings stellten sich bisher alle seine Vermutungen als wahr heraus." 

 

Auf Pierros Gesicht breitete sich ein Grinsen aus. "Sind das Freunde von dir?" hauchte er mit verführerischer Stimme in Sadas Ohr. Sie schüttelte unbeteiligt den Kopf. "Nein, aber zeig ihnen deine Vision." 

"Wie du wünscht." 

 

Er ging mit langsamen Schritten auf Yoh zu und blieb unmittelbar vor ihm stehen. "Ein Asakura, richtig?" säuselte er und erinnerte stark an Faust. 

"Woher konnte er das wissen!?" rief Ryu geschockt aus. Pierro wandte sich ihm nun zu. "Was für ein schöner Anzug, ich sehe nicht oft so elegant gekleidete Menschen in dieser Welt. Und vor allem keine Schamanen, die Yamata no Orochi beherrschen. Du gefällst mir." Er grinste wissend. Ryu war sprachlos und konnte sein Erstaunen nicht verbergen. 

 

Pierro ließ von ihm ab und hob seine Hände in die Luft. Der Rauch verdichtete sich über seinen Händen und wirbelte wild im Kreis. In der Mitte des dadurch entstandenen Strudels konnte man ein Bild sehen. 

 

Yoh erstarrte. Er konnte Seki ausmachen. Auch die anderen konnten ihn sehen. Neben ihm hockte ein Mädchen, das sie allerdings nicht kannten. Sie hatte kurze blonde Haare und trug einen schwarzen Umhang. Plötzlich donnerte es. Hinter den beiden türmten sich dunkle Wolken auf. Man konnte ein tiefes Grollen vernehmen. Die Wolken verschwanden schließlich nach und nach und brachten einen riesigen weißen Drachen zum Vorschein. Dessen Brüllen war so laut, dass sich alle Anwesenden die Ohren zuhalten mussten. Er blitzte. Das Bild veränderte sich langsam und verschwomm allmählich.

 

Yoh blickte hinüber zu Pierro, der ihn ruhig grinsend ansah. Er deutete mit seinem Finger auf den Strudel und befahl Yoh damit, noch einmal hinzuschauen. Er tat wie geheißen. Das Bild wurde wieder klarer und wirkte friedlicher. Man konnte einen Sonnenaufgang erkennen. Eine Blume wackelte sanft im Wind. Doch diese Harmonie wurde von einem riesigen Objekt gestört. Es sah aus, wie ein Komet, der durch den Himmel flog. Auf ihm saß das Mädchen, aus dem vorhergehenden Bild. Sie lächelte, doch aus dem wunderschönem Lächeln wurde schnell ein schmutziges Grinsen. Dann brach der Strudel zusammen. Genauso wie Yoh. 

 

"Was hat das zu bedeuten?" fragte Joco stutzig. Ren verschränkte die Arme vor seiner Brust. "Das war Ragoh."

"Ragout? Das bevorzuge ich lieber mit Hähnchen", lachte Joco. Es hagelte schiefe Blicke von allen Seiten.

"Es ist jetzt nicht die Zeit, schlechte Witze zu reißen", murmelte Trey angespannt.

 

Sada räusperte sich hörbar. "Ragoh ist der Komet, der den Beginn des Schamanenturniers ankündigt."

"Es wird ein Turnier geben und das schon sehr bald", ergänzte Ju Lyn. "Seki kehrt zurück und diesmal ist er in Begleitung. Sie werden stärker sein, als alles, was wir bisher kannten."

"Aber jetzt sind wir ja da und werden uns diesen Seki vornehmen", kicherte Min und klatschte sich mit Ju Lyn ab. 

 

"Das wird garantiert nicht so einfach, wie ihr euch das vorstellt, Mädels", unterbrach Ren die Euphorie der beiden Mädchen. "Wir haben damals bereits gegen Seki gekämpft. Und es war wirklich nicht leicht ihn-" 

"Glaubst du etwa, dass wir so schwach sind wie ihr? Dass ich nicht lache!" grinste Natsuki. "Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir euch binnen weniger Sekunden fertig machen können." 

 

Ein Speer erschien plötzlich vor ihrem Gesicht und berührte fast ihre Nasenspitze. "Nimm deinen Mund bloß nicht zu voll. Du bist sichtlich schwächer als-" 

"Hast du mich gerade schwach genannt!?" schrie Natsuki plötzlich. Sie trat näher an Ren heran und war nur noch weniger Zentimeter von seinem Gesicht entfernt. 

"Jetzt geht das schon wieder los", murmelte Ju Lyn und rieb sich angespannt die Stirn. Auch Sada hörte man seufzen. 

"Natsuki, lass das", rief sie. "Spar dir deine Kräfte für den richtigen Kampf." 

Kurz verweilte das geladene Mädchen noch in dieser Position ehe es sich eingeschnappt von Ren abwandte. 

 

Yoh hatte sich derweil wieder gefangen und schien über etwas nachzudenken. Manta bemerkte dies. "Worüber denkst du nach, Yoh?" 

 

"Hey Mädels, was haltet ihr davon, wenn wir uns zusammen tun?"

Yoh grinste breit über beide Wangen. Ein geschlossenes "WAS?" hallte durch den Wald.

 

"Na wisst ihr, wir haben es schon einmal mit Seki aufgenommen. Wir haben Erfahrung. Ihr könntet doch dann das Mädchen zur Vernunft bringen."

Sein Grinsen blieb eisern auf seinem Gesicht.

 

"Ganz sicher nicht!" rief Sada nun energischer. "Wir gehen."

Sie drehte sich um und lief voran, hinter ihr folgten die anderen drei Mädchen. 

 

"Und was machen wir jetzt, Yoh?" fragte Manta neugierig. Er wüsste zu gern, weshalb sein Freund immer noch grinste. "Ganz einfach, wir folgen ihnen." Verdutzt wurde er von allen Seiten angestarrt. Ryu war der erste, der sich dazu äußerte: "Meister Yoh, ich bin mir nicht sicher, ob das so eine gute Idee ist."

"Meinst du? Ich finde sie spitze!" lächelte der Asakura und nahm die Fährte auf. Verwirrt sahen sich die Schamanen an. "Ich weiß nicht, was ihn an den Mädchen so fasziniert, aber er wird einen Plan haben, da bin ich mir sicher!" murmelte Ren und lief langsam hinter ihm her. 

 

"Heeey, Yoh!" rief nun auch Trey und folgte den beiden. Nach einiger Zeit setzten sich dann schließlich auch Ryu, Joco und Manta in Bewegung. Was genau ihr Anführer vor hatte, konnten sie sich nicht denken, allerdings würden sie ihm überall hin folgen und so war die Entscheidung nicht schwer.