Aus der Sicht von Kanata:

Da stand ich also endlich in meinem Zimmer und schaute den dunkel bekleideten Rücken vor mir an. Dieser Rücken war nicht besonders kräftig gebaut - eher das Gegenteil: schmal, dünn und gebrechlich.

"Ich bin Kanata Akai, dein Zimmergenosse. Mit wem hab ich das Vergnügen?" fragte ich ihn in der Hoffnung auf eine Antwort. Aber dieser Typ schien mich einfach zu ignorieren; er machte mit dem weiter, das er gerade tat. Doch was genau trieb er da eigentlich? Ich beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen, daher schlich ich mich vorsichtig an den Jungen heran. Obwohl ich sehr leise war, hörte ich ihn kaum hörbar murmeln: "Es geht dich nichts an, was ich hier mache. Wärst du also so freundlich und kümmerst dich um deine eigenen Probleme?"

Er packte das Ding, an welchem er gerade gearbeitet hatte, in seine Bauchtasche und fuhr herum. "Ryuzaki", brummte er und schaute mich dabei mit kalten Augen an. Ich wollte wissen, was er damit meinte und schaute ihn fragend an. "Du wolltest doch meinen Namen wissen. Jetzt weißt du ihn", äußerte dieser monoton, richtete sich auf und ging zu seinem Bett.

 

Damit hatte ich jetzt nicht gerechnet, beließ es aber erst einmal dabei und schaute mich im Zimmer um. Es war in zwei Bereiche eingeteilt. Der eine Bereich war recht dunkel und schon etwas düster. Der andere war dagegen weiß und hell. Die Wände in seinem Teil des Zimmers waren schwarz und dunkelrot. Ryuzaki saß auf einem dunkelbraunen Bett mit schwarzer Bettwäsche. Am Fußende des Bettes lag eine große Stoffeule, die rot und schwarz gemustert war, und zwei kleinere Eulen in denselben Farben. Gleich neben dem Bett befand sich ein großer schwarzer Kleiderschrank mit zwei Türen und einem Spiegel. Etwas abseits war ein großes, breites Bücherregal, gefüllt mit Manga, Comics, Figuren, Stofffiguren und Schatullen.

Auf seinem Schreibtisch lagen verschiedene Dinge: sehr viele Hefte, Bücher, diverse Stifte, mehrere Bilderrahmen und einige komische schwarz-weiße oder schwarz-rote Stoffkatzen.

 

Die andere Seite des Zimmers war sehr schlicht gestaltet, schien aber fast genauso eingeteilt zu sein wie Ryuzakis. Dort stand etwas weiter weg vom schwarzen Schreibtisch einer in beige. Darauf lagen aber natürlich noch keine Gegenstände. Das Bett war aus dem selben Holz wie der Tisch und der Schrank hatte nur eine Tür, die weiß war. Der Rest des Schranks glitzerte, was mich etwas stutzen ließ, da ich dachte, dass wir hier in einem Jungenzimmer waren und nicht in Barbies Glitzerwelt.

 

Nachdem ich das Zimmer gründlich unter die Lupe genommen hatte, ging ich in Richtung meines Schreibtisches und schmiss den blöden Koffer, den ich die ganze Zeit schon tragen musste, einfach daneben. Ich ließ mich auf den Boden fallen und atmete kurz ein und wieder aus. Dabei konnte ich es mir nicht verkneifen, den Jungen noch einmal zu mustern.

Er hatte kurze schwarze Haare, von denen ein kleiner geflochtener Zopf abging, der nebenbei erwähnt nun wirklich albern aussah. Außerdem trug er die Uniform, die Sachiko und ich von dem Froschtypen bekommen hatten, und an seinen Füßen sah man knallrote Turnschuhe. "Was für ein komischer Kauz", dachte ich mir und hoffte, dass Ryuzaki eventuell auch mal etwas sagte, damit diese peinliche Stille endlich verschwand. Doch dieser gab keinen Ton von sich; er saß einfach nur auf seinem Bett und spielte mit einem roten Gameboy. Kurz gesagt, er würdigte mich keines Blickes.

 

"Hey du, unterhalte mich", rief ich laut, in der Hoffnung, dass er endlich aus seine Starre erwachte. Aber negativ, er spielte einfach weiter und tat so, als wäre ich nicht im Zimmer.

Nach einiger Zeit entschied ich mich dazu aufzustehen und langsam zu ihm hinüber zu trotten.

Am Bett angekommen stupste ich ihm in die Seite. Immer und immer wieder. Vielleicht würde er darauf reagieren und etwas mehr Spannung in diese langweilige Situation bringen. Doch er regte sich nicht. Anscheinend wollte er mich provozieren? Ich seufzte kurz und wollte ihm erneut in die Seite pieken, da wich er gekonnt aus und rollte sich unelegant auf die Seite. Zum Schluss lag er auf seinem Bauch und tat weiterhin so, als wäre nichts geschehen.

Das bedeutete Krieg. Ich begab mich zum Bettende und zog an seinen Füße, sodass er etwas in meine Richtung rutschte. Auch das ließ keine Reaktionen hervorrufen.

 

Somit tat ich, was ich tun musste, und riss ihm die Konsole aus der Hand. Mit etwas übertriebener Wucht pfefferte ich sie auf den Tisch, schnappte mir anschließend seinen Kragen und brüllte ihm ins Gesicht: "Was fällt dir eigentlich ein, mich zu ignorieren? Bist du noch ganz dicht? Du sagst kaum ein Wort, heißt das, du hast Angst vor mir? Geschieht dir recht! Hey, bist du schwerhörig?" Ich redete mich in Rage und bemerkte nicht, wie laut ich bereits geworden war. Da vernahm ich schließlich ein Räuspern: "Wieso sollte ich mit einer fremden Person reden?" Er verzog weiterhin keine Miene. "Willst du dich etwa mit mir anlegen?" wollte ich wissen. Ryuzaki zuckte bloß mit den Schultern und sagte nur: "Wer schreit hier denn so rum und regt sich wegen Kleinigkeiten auf?"

Jetzt war mein Geduldsfaden gerissen.

 

Ich zog ihn am Hemd aus dem Zimmer, schliff ihn den langen Flur entlang und gab zornig von mir: "Wir regeln das jetzt wie echte Männer!" Man konnte hören, wie sämtliche Türen der anderen Personen aufgeschlagen wurden und viele Schüler heraustraten. "Was ist den hier los?" fragte ein Junge. "Da will sich wohl jemand mit Ryu anlegen," meinte ein anderer. Ich konnte sie aufgeregt miteinander reden hören, daher wusste ich, dass sie uns folgten. Umso besser für mich, dann bekommen diese Wanzen gleich von Anfang an Respekt vor mir.

Nach einigen Minuten standen wir beide auf dem großen Schulgelände, um uns scharrten sich tonnenweise Schüler. Ich konnte sogar Sachiko in der Menge ausmachen und schnipste ihr selbstsicher zu. Sie machte sich bestimmt wieder Sorgen, dabei wusste sie eigentlich am besten, dass sie das gar nicht brauchte. Chi starrte uns an und ich konnte schon ihre Lippen von Weitem lesen, so oft hatte sie diese Worte schon gesagt: "Kanata, nicht schon wieder." Kurz darauf warf sie ihre Hände vor das Gesicht. Ach Sachiko, der ist doch nur ein kleiner Fisch. Den mache ich doch locker fertig, du wirst schon sehen!

 

Ich sah mich weiter um und konnte in der Schülermenge sogar ein paar Lehrer ausmachen. Einige Schüler riefen im Chor: "Ryu, mach' den Neuling fertig!" Andere wiederum brüllten: "Gib lieber gleich auf, bevor es zu spät ist." Pah, na klar, ihr werdet schon sehen, was ich drauf habe! Ich ließ mich von ihren Rufen nicht aus dem Konzept bringen und widmete mich Ryuzaki zu. "Wir werden ja sehen, wer hier den Kürzeren zieht", dabei spuckte ich abschätzig neben seine Füße. Er folgte meiner Spucke mit seinen Augen und blickte langsam, aber gleichzeitig etwas gereizt wieder zu mir. "Wir kämpfen allein mit Körperkraft, unsere Alice benutzen wir nicht," erläuterte ich die Regeln. Er nickte nur stumm. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Das wird so ein Spaß diesen Typen vor allen anderen bloß zu stellen! Noch einmal schaute ich zu Chi, die nur durch eine kleine Spalte zwischen ihren Händen zu uns schaute. Komm schon, kleine Schwester, du weißt doch genau, was ich kann. Ein bisschen Unterstützung wäre nicht schlecht gewesen. Ich schnaufte kurz. Der Kampf sollte gleich beginnen und ich war mehr als bereit!